Tel Aviv – die weltlichste Stadt im Heiligen Land
Der Orient beginnt nur vier Flugstunden von Hamburg. Es ist Donnerstagabend, also quasi Wochenende. Denn am Freitag nach Sonnenuntergang beginnt der Shabbat, im Judentum der Ruhetag, an dem nicht gearbeitet werden darf. Wir stehen in einer langen Schlange vor einem Lokal, das auf den ersten Blick nach einem etwas größeren Imbiss aussieht. Während wir uns langsam und geduldig, wenn auch hungrig, nach vorne arbeiten, werden Falafel herumgereicht. „Hier gibt es die besten der Stadt“ sagt Nicola (25), meine Stieftochter. Die Stadt heißt Tel Aviv und Nicola absolviert hier gerade ein Auslandssemester.
Das Warten hat sich gelohnt. Was wir eine halbe Stunde später auf dem Tisch haben, sieht sehr appetitlich aus: Hummus, Falafel, Shakshuka (was das ist, erkläre ich später), gebratene Hähnchenstreifen und gebackene Aubergine. Mit einer Flasche Goldstar, dem lokalen Bier dazu, ist der Genuss perfekt. Es ist der 21. Dezember und wir sitzen bei milden Temperaturen draußen. Um uns herum tobt das Leben.
Tel Aviv ist eine junge Stadt: gerade einmal 100 Jahre alt und voll mit jungen Leuten. Die Stadt hat ein sehr aktives Party- und Nachtleben. Die politisch schwierige Situation Israels spürst Du hier überhaupt nicht. Vielleicht siehst Du mal einen Soldaten mit Maschinengewehr oder musst Deine Handtasche einer Sicherheitskontrolle unterziehen lassen, wenn Du ein Einkaufszentrum betrittst. Ansonsten aber geht es recht westlich zu, hier im Nahen Osten.
Dass wir nun ausgerechnet über Weihnachten hier sind, hat wenig mit unserem Glauben zu tun. Es war vielmehr der Wunsch der Stieftochter, dass wir, wenn wir sie schon besuchen, dann doch am besten zu Weihnachten kommen sollten. Ihre Schwester Kristin (28) ist ebenfalls für zwei Wochen zu Besuch. Mein Mann Matthias ließ sich natürlich nicht zweimal bitten, ein paar Tage mit seinen Töchtern zu verbringen, die er viel zu selten sieht. Was uns am Heiligabend erwartet, wissen wir noch nicht – wir sollen uns überraschen lassen. Christen, die zu Weihnachten nach Israel fahren, drängeln sich an den heiligen Stätten in Bethlehem, Nazareth und Jerusalem. Wir schauen uns zunächst einmal Tel Aviv an.
Auf dem Markt
Am ersten Tag entführt uns der Shuk HaKarmel, der Karmel-Markt, in eine andere Welt. Auf den Tischen türmen sich Auberginen und Zucchini, Granatäpfel und Orangen, exotische Gewürze verbreiten wohlige, frischer Fisch weniger schöne Gerüche. In den seitlichen Gassen zeigt Tel Aviv seine künstlerische Seite: die Auswahl an Schmuck, Tüchern und Kunstdrucken ist groß. Überhaupt ist Kunst in Tel Aviv allgegenwärtig, dafür musst Du nicht ins Museum gehen. Street Art findest Du hier an jeder Straßenecke: auf Häuserwänden, Garagentoren und Stromkästen.
Später schlendern wir über den Sderot Rothschild, den Boulevard, der nach der berühmten jüdischen Bankiersfamilie benannt ist. Entlang der prächtigen Allee mit Grünstreifen in der Mitte reihen sich Gebäude im Bauhaus-Stil. Hier ist der Verkehr für Fußgänger und Radfahrer zum Glück geregelt – was man anderorts leider nicht sagen kann. In punkto Elektromobilität ist uns Tel Aviv weit überlegen – nur fehlt es etwas an deutscher Ordnung, um den Fortschritt in geregelte Bahnen zu lenken. Die zahlreichen E-Bikes und E-Scooter brettern ungebremst über die Bürgersteige. Diese Fortschrittlichkeit will so gar nicht zu dem äußeren Erscheinungsbild der Rehov Ben Yehuda passen, an der unser Hotel liegt. Bei einigen der Häuser weiß man nicht, ob sie noch im Bau begriffen oder gerade abgebrannt sind.
Den Nachmittag beschließen wir in der Strandbar La Mer bei Bier, Erdnüssen und Cashewkernen. Auch wenn die Sonne sich heute kaum hat blicken lassen, ist es dafür doch warm genug – das müssen wir ausnutzen. Mit einem freundlichen „Shabbat Shalom“ verabschiedet uns der junge Kellner, der es bedauert, dass er jetzt bei uns kassieren muss. Denn der Shabbat gehört der Familie.
Eine Stadtführung in Jaffa
Für den nächsten Tag haben wir uns zu einer Stadtführung in Jaffa angemeldet. Der südlichste Stadtteil Tel Avivs blickt auf eine mehr als 5.000 Jahre alte Geschichte zurück und wurde erst 1950 eingemeindet. Zunächst spazieren wir aber durch das hübsche Viertel Neve Tsedek. Hier sind die Häuser nicht so hoch wie sonst in der Innenstadt, es gibt viele kleine Boutiquen und Cafés. Nicht nur Touristen nutzen den Shabbat, um in Ruhe zu flanieren. Auf dem stillgelegten Gelände des Bahnhofs HaTachana findet heute ein Markt statt. Aus den Lautsprechern schallen christliche Weihnachtslieder und hier und da wird Weihnachtsdekoration verkauft. Weiter geht es am Meer entlang nach Jaffa. Wir lassen die Wolkenkratzer von Tel Aviv hinter uns und sind gespannt auf unsere Führung, die am Clock Tower beginnt. Sandeman’s bietet in 18 Städten weltweit kostenlose Stadtführungen auf Trinkgeldbasis an, Tel Aviv ist eine davon. Unsere Führerin heißt Gila, kommt aus Australien, und lebt schon lange in Israel. Die Gruppe ist recht groß, aber Gila hat ein Headset. Für zwei Stunden entführt sie uns in die engen Gassen der Altstadt von Jaffa. Zur Einstimmung hat sie uns frisches Fladenbrot aus der Bäckerei Abulafia mitgebracht, es ist noch warm und schmeckt nach exotischen Gewürzen, köstlich! So gestärkt können wir den weiten Weg zurück bis ins Osmanische Reich antreten. Gila erzählt interessant und lebendig und streut immer wieder kleine Anekdoten ein. Ihr Englisch ist gut zu verstehen. Am Ende sind wir voll mit Informationen und ganz schön platt.
Kochkurs am Heiligabend
Am Heiligabend ist erst einmal chillen angesagt. Keine letzten Weihnachtseinkäufe und kein Baumschmücken. Auch das Wetter lockt uns nicht mehr aus dem Zimmer als nötig. Am späten Nachmittag erwartet uns bei Nicola und Kristin in der WG ein kleines israelisches Vorspeisenbuffet mit leckerem lokalem Rotwein. Wir haben aus Deutschland Kekse und Schoko-Weihnachtsmänner mitgebracht. Dann müssen wir auch schon los. Im strömenden Regen eilen wir durch die Stadt und stehen plötzlich vor dem Abraham Hostel. Die Überraschung – und gleichzeitig unser Weihnachtsgeschenk – ist ein israelischer Kochkurs! Gemeinsam mit größtenteils jüngeren Menschen aus aller Welt lernen wir, wie Shakshuka hergestellt wird, das Gericht, welches wir bereits am ersten Abend genossen haben. Eigentlich wird es in Israel zum Frühstück gereicht. Das Rezept in Kurzform: In eine Soße aus Tomaten, Zwiebeln, (sehr viel!) Knoblauch und Paprika werden kleine Mulden gemacht, in die jeweils ein Ei hineingeschlagen wird. Das klingt einfach, aber die sorgfältige Herstellung, wie beispielsweise das Häuten der Tomaten und die richtigen Gewürze machen den Unterschied. Dazu gibt es Salat, im Ofen gebackenen Blumenkohl und Auberginen, Knoblauchbrot und Tahini (Sesampaste) – ein wahres Festmahl!
Danach sind wir satt und müde, aber Nicola hat noch herausgefunden, wo es an diesem Abend einen christlichen Gottesdienst in hebräischer und englischer Sprache gibt. Da es immer noch regnet, nehmen wir ein Taxi. Und so wird uns am Ende bei „Adeste Fidelis“ und „Silent Night“ doch noch etwas feierlich zumute.
Am nächsten Morgen müssen wir früh aufstehen, denn wir haben einen Tagesausflug ans Tote Meer gebucht. Den Bericht darüber findest Du hier.
Zu Fuß durch Tel Aviv
An unserem letzten Tag zeigt sich Tel Aviv noch einmal von seiner besten Seite. Bei strahlend blauem Himmel und Sonnenschein machen wir uns auf den Weg nach Sarona. Die Siedlung wurde 1871 von deutschen Templern gegründet. Die 37 unter Denkmalschutz stehenden zweistöckigen Häuser auf dem parkähnlichen Gelände wirken wie eine Oase zwischen den umliegenden Wolkenkratzern. In den Gebäuden befinden sich heute Cafés, Restaurants, Shops und Boutiquen. Weiter geht es zum Azrieli Center. Von der öffentlich zugänglichen Aussichtsterrasse im 49. Stock hast Du einen fast 360 Grad-Überblick über die Stadt. Tel Aviv mag zwar nicht die schönste Skyline haben, aber ich finde es immer wieder spannend, sich Städte von oben anzuschauen.
Den nächsten Halt machen wir auf dem Kikar (Platz) Yitzhak Rabin. Der ist nicht schön, aber geschichtsträchtig. Auf dem damals noch Kikar Malchey Israel (Platz der Könige Israels) genannten Platz hielt der damalige Premierminister Yitzhak Rabin am 4. November 1995 eine ergreifende Rede, ein Plädoyer für den Frieden. Auf dem Weg zum Auto wurde er von einem jüdischen Fundamentalisten und Rechtsextremen erschossen.
Wir spazieren weiter über den Sderot Ben Gurion, vorbei am Geburtshaus des ersten Ministerpräsidenten Israels, das heute ein Museum ist. An diesem schönen sonnigen Tag steht uns der Sinn aber mehr nach Meer. Unterwegs gönnen wir uns noch einen frisch gepressten Granatapfelsaft. Kleine Obst- und Saftbars locken überall auf den Boulevards mit ihren appetitlichen Auslagen. Für unseren langen Fußmarsch werden wir am Ende mit einem kitschig-schönen Sonnenuntergang belohnt. Der Strand von Tel Aviv zieht sich von Jaffa im Süden bis hin zum ehemaligen Hafengebiet Namal. Heute befinden sich in den alten Lagerhallen Restaurants, Kneipen und Boutiquen. In einer Beach Bar gibt es noch einmal den Geschmack des Orients: Falafel, Hummus, Tahini, und dazu ein frisch gezapftes lokales Bier. Das Leben kann so schön sein. Es ist der zweite Weihnachtsfeiertag und zuhause ist jetzt wahrscheinlich Schmuddelwetter.
Für den letzten Teil unserer einwöchigen Israel-Reise machen wir uns am nächsten Tag auf den Weg nach Jerusalem.
An- und Abreise
Wie bin ich nach Tel Aviv gekommen?
Von Hamburg und Düsseldorf aus gibt es einen Direktflug mit Germania. Flüge mit Stopover in Istanbul sind in der Regel günstiger, dafür ist man eben länger unterwegs. Wir sind zum ersten Mal mit Germania geflogen und waren sehr zufrieden. Jerusalem liegt ungefähr eine Autostunde von Tel Aviv entfernt, der Flughafen liegt zwischen Tel Aviv und Jerusalem.
Hier habe ich übernachtet schnipp
Hotels sind leider sehr teuer in Tel Aviv, und die Zimmer sind in der Regel klein. So war es auch im Artplus Hotel. Der Empfangsbereich ist stylisch, das Zimmer war sehr klein und sah schon ein bisschen abgerissen aus. Es funktionierte aber alles – und das hervorragende Frühstück hat uns für so manches entschädigt! Darüber hinaus gibt es in der Happy Hour von 17 bis 19 Uhr Wein und Snacks kostenlos, was wir aber selten genutzt haben. Aufgrund der zentralen Lage ist es nicht gerade leise, aber etwas Ruhigeres und dann noch Bezahlbares zu finden in dieser Stadt, dürfte schwierig sein. Wir konnten von dort aus alles fußläufig erreichen, es fahren aber auch zahlreiche Busse.
Artplus Hotel
Ben Yehuda 35
Tel Aviv
Hier habe ich gegessen
Goocha
Habarzel 7
Ramat Hachayal
Tel Aviv
Das Goocha ist nicht ganz billig, bietet aber hervorragende Fisch- und Meeresfrüchtegerichte. Auch für mich als Nicht-Fischesser war etwas dabei. Man sitzt gemütlich und der Service ist sehr aufmerksam.
Falafel Hakosem
Shlomo HaMelech 1
Tel Aviv
Hier gibt es die oben erwähnten wahrscheinlich besten Falafel der Stadt. Nicht viel mehr als ein Imbiss, also kein Ort, der zum langen Verweilen einlädt, aber ein Muss um die lokale Küche zu erfahren.
Spicehaus
Dizengoff 117
Tel Aviv
Entlang der Meir Dizengoff reihen sich zahlreiche Kneipen und Cocktailbars. Im Spicehaus bekommst Du leckere Cocktails, die ganz besonders präsentiert werden, beispielsweise in einem Kolben oder einer Spritze. Auch kleine Speisen gibt es hier, die wir aber nicht probiert haben.